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Vor 25 Jahren hat Anneliese Schweinberger mit ihrem Erbe den finanziellen Grundstock für das nach ihr benannte Wohnhaus in Moosburg - das

Anneliese-Schweinberger-Haus -

gelegt, das innerhalb der Lebenshilfe Freising angesiedelt ist. Unterstützt wurde sie dabei durch das unermüdliche Spendensammeln von Juliane Maier und ihrer Familie.

Von einem Multimillionär oder was Handmassagen mit Alibaba und Zora zu tun haben

Nach einer relativ kurzen Bauzeit, die 1996 startete und ein Jahr später bereits endete, wurde das Anneliese-Schweinberger-Haus (ASH) eröffnet und bot Platz für 24 Bewohner*innen mit Schwerstmehrfachbehinderungen. Aufgrund des hohen Bedarfes wurden quasi sofort drei weitere Räume umfunktioniert, um diesem gerecht zu werden. Gleichzeitig unterstützte damals der Bezirk den Bau für Wohnhäuser für Menschen mit Mehrfachschwerstbehinderung. Heute haben 26 Bewohner*innen im ASH ihr Zuhause gefunden.

„Die Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen des ASH sind in jeder Beziehung eine bunte Truppe – kreativ und bereit für alle Herausforderungen, denen sie begegnen“, bringt es Evi Hübl, seit 1999 Leiterin des Wohnhauses, auf den Punkt. Wenn eine Wohnhausleitung im Zusammenhang mit ihrem Arbeitsplatz von „beruflicher Heimat“ spricht, dann fällt das schon besonders ins Gewicht und zeigt, wie sehr Mitarbeiter*innen und Betreute in einer solchen Gemeinschaft zusammenwachsen und sprichwörtlich ihr Leben teilen. „Die Herausforderungen, die die Handicaps der Bewohner*innen für das Haus mitbringen und die gleichzeitige Aufgabe, ein großes Team mit bis zu 60 Angestellten zu leiten, haben mich ausgefüllt“, ergänzt Hübl. Besonders glücklich mache es sie, wenn sich – oft erst nach Monaten oder Jahren – Erfolg durch die Arbeitsansätze zeigt: „Wenn ich jemandem durch den Einsatz von Kinästhetik, also der Lehre von der Bewegung, oder durch unsere Therapiehunde ein großes Stück Lebensqualität zurückgeben kann, macht mich das einfach glücklich“, berichtet die Leiterin.

Während das ASH zunächst ein Haus ohne Tagesbetreuung war und die Rentner*innen, die darin lebten, tagsüber in eine Gruppe der Förderstätte Moosburg, die heuer ebenfalls seit einem Vierteljahrhundert existiert, gingen, war das Ergebnis einer Tagung im April 2000, dass die Senior*innen auch tagsüber in ihren Gruppen bleiben möchten. Dieses Angebot konnte zum 01.07.2000 umgesetzt werden. Zusätzlich äußerte sich eine große Mehrheit der Bewohner*innen aller Wohnhäuser der Lebenshilfe Freising dahingehend, dass sie in ihrer Einrichtung alt werden möchten und dort auch sterben wollen. „Eine größere Auszeichnung kann es für uns wohl kaum geben“, so Hübl.

Ein Multimillionär als Hausbewohner

Wenn Hübl mit den Angehörigen ihrer Bewohner*innen plaudert, hört sie immer wieder, dass Außenstehende zu ihnen sagten, ihre Verwandten seien so arm dran. – Weil sie zum Beispiel blind sind, ihre Arme nur wenig bewegen können, lediglich ein paar Worte sprechen und den Rollstuhl, in dem sie sitzen, nicht selbst bewegen können. „Genau diese eine Bewohnerin, auf die das zutrifft, ist jedoch der glücklichste Mensch, den ich kenne“, berichtet Hübl lachend. „Sie freut sich allein, dass ich morgens in ihr Zimmer gehe und ihr einen guten Morgen wünsche. Sie freut sich, wenn ich neben der Pflege einen Ratsch mit ihr halte oder wenn ich ihr was vorsinge – und da freut sich sonst fast keiner darüber. Sie freut sich, wenn ich ihr eine Geschichte vorlese und sie springt fast aus dem Rollstuhl vor Glück, wenn sie ihre Mutter hört, die sie in etwa jede Woche sieht.“

Diese besondere Feinfühligkeit und das „eigene kleine Glück“ erlebt Evi Hübl des Öfteren: 2013 etwa ist eine ähnlich schwer beeinträchtigte Bewohnerin gestorben, die sich gefreut hat, wenn ihre Hand massiert und sie kinästhetisch im Bett aufgesetzt wurde. Bei Spazierfahrten hat sie vor allen anderen einen Raben krächzen gehört. Zudem gibt es im ASH einen Bewohner, der mehrfacher Multimillionär ist, schon fast überall auf der Welt war und dort sehr viele Geschichten erlebt hat – alles nur in seiner Fantasie, aber wunderschön zum Zuhören.

Wunschvorstellung trifft harte Realität

Das Anneliese-Schweinberger-Haus ist ein Wohnhaus für Menschen mit Mehrfachschwerstbehinderung – sogenanntes herausforderndes Verhalten ist in der Begleitung dieser Menschen also immer Thema. Mag nun der Eindruck entstanden sein, im ASH wäre aller Tage nur Eitel Sonnenschein, so trügt dieser Schein leider. Gerade in den ersten Jahren nach der Eröffnung, mussten sich sowohl Bewohner*innen als auch Mitarbeiter*innen immer wieder diskriminierende und behindertenfeindliche Äußerungen anhören. Und dass, obwohl Moosburg an sich eine behindertenfreundliche Stadt ist. Mit guter Öffentlichkeitsarbeit und der Überwindung von Barrieren in den Köpfen konnte dieses Verhalten nahezu eliminiert werden.

„Darüber bin ich natürlich sehr froh“, urteilt Hübl, „zumal uns heute ganz andere Schwierigkeiten beschäftigen.“ Zum herausfordernden Verhalten, das die Fachkräfte an ihre Grenzen der Belastbarkeit bringt und zeitlich begrenzt auch überfordert, ist der ständige Personalmangel mittlerweile trauriger Dauerzustand. „Noch haben wir viele Mitarbeiter*innen, die bereit sind, eine begrenzte Zeit des Mangels auszugleichen und so dafür zu sorgen, dass sich die Situation nur wenig auf die Qualität unserer Betreuung auswirkt. Wenn diese motivierten Mitarbeiter*innen und qualifizierten Fachkräfte eines Tages weg sind, hat unser Haus definitiv ein Problem“, blickt die Leiterin in eine ungewisse Zukunft und erinnert sich nur ungern an die Zeit, als Anfang 2022 Corona fast alle Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen erfasst hatte. „Da wir alle sehr nah zusammenarbeiten und nahezu die gesamte Dienstzeit mit unseren Betreuten verbringen, hat sich die Krankheit rasend schnell ausgebreitet. Das war eine sehr schwere Zeit“, resümiert sie.

Träume und Visionen zum Geburtstag

Da Evi Hübl jedoch von Natur aus eine sehr optimistische Frau ist, blickt sie frohen Mutes in die Zukunft. Zum 50-jährigen Jubiläum 2047 sieht sie vor ihrem inneren Auge Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung, die inmitten der Gesellschaft leben, gute Kommunikationsmittel, mit denen alle Bewohner*innen ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern können sowie selbstbestimmtes Leben durch den Einsatz technischer Hilfsmittel. Außerdem gibt es Wahlmöglichkeiten zwischen ambulant unterstütztem Einzel- oder Paarwohnen oder stationärem Wohnen und ausreichend motiviertes Personal, da es der Gesellschaft gelungen ist, die Begleitung und Pflege von Menschen mit einem Hilfsbedarf wieder attraktiver zu machen. – Bleibt zu hoffen, dass dieser Traum eines Tages Realität werden möge und es in Zukunft noch viel mehr Multimillionäre gäbe!

Infokasten: 25 Jahre Anneliese-Schweinberger-Haus Moosburg

Feierlichkeiten zum Jubiläum:

01.04.2022: Gottesdienst zum 25-jährigen Bestehen des Anneliese-Schweinberger-Hauses mit Pastoralreferent John

15.05.2022: Maifest für Bewohner*innen und Angehörige

03.06.2022: Einladung auf die Red Roses Ranch durch Irmi und Hubert Strähuber

16.07.2022: Sommerfest für Bewohner*innen, Angehörige und Mitarbeiter*innen mit der Band Cocoverde und Catering

06.10.2022: Dankgottesdienst mit Pastoralreferent John

Kontonummer für Spenden:

Lebenshilfe Freising e.V. – Stichwort / Betreff: ASH

IBAN: DE05 7005 1003 0000 0181 01 – BIC: BYLADEM1FSI

Exkurs: Themenschwerpunkte im Anneliese-Schweinberger-Haus

Da das Team im ASH bereits seit 1999 im Umgang mit herausforderndem Verhalten begleitet wurde und bis heute wird, ergaben sich daraus weitere Themenschwerpunkte für das Lebenshilfe-Wohnhaus in Moosburg:

Herausforderndes Verhalten, Kommunikation und tiergestützte Therapie

Wie können sich Menschen verständlich machen, die nicht sprechen, nicht schreiben und nicht lesen können? Wie können Mitarbeiter*innen deren Art der Kommunikation „richtig“ interpretieren und ein Mehr an Kommunikationsmöglichkeiten anbieten? – Das Thema „Kommunikation“ ist seit 1997 ein Schwerpunkt, zu dem bis heute mehrere Konzeptionstage veranstaltet wurden. Mittlerweile werden vermehrt elektronische Hilfsmittel und auch einige iPads eingesetzt.

Tiere machen glücklich

Dass Tiere glücklich machen, liest man nicht nur immer wieder, sondern kann man im ASH mit eigenen Augen sehen. Mit Alibaba und Zora werden aktuell zwei Therapiehunde eingesetzt, die nur aufgrund ihrer Anwesenheit unglaublich viel bewirken können. Angeleitet werden sie von Cornelia Fuchs, der stellvertretenden Leitung im ASH, die eine Ausbildung im Bereich „Tiergestützte Pädagogik mit Hund“ durchlaufen hat. Zusätzlich besuchen die Lamas Diego und Tschako des Alpakahofs Holzner einmal im Monat die Bewohner*innen in Moosburg und sorgen nicht nur für ein Lächeln in den Gesichtern, sondern auch ein Strahlen im Herzen. Wenn im Juli nun vier Zwerghühnchen in das neu gebaute Hühnerhaus einziehen, haben die Betreuten mehrere Möglichkeiten, in Kontakt mit den Zwei- oder Vierbeinern zu treten und von deren intuitivem Gespür zu profitieren.

Kunst und Musik als weitere Themenschwerpunkte

Eine weitere Möglichkeit, wie Menschen mit Schwerstbehinderung mit ihrer Umwelt in Kontakt treten können, sind die Kunst und die Musik. „Über ihre Kreativität können unsere Bewohner*innen zeigen, wie sie ihre Umwelt sehen. Wo Worte unausgesprochen bleiben, finden sie sich wieder in Farbe und Form“, berichtet die Leiterin. Mit künstlerischem Gestalten erfahren die Menschen Selbstbestätigung und Spaß am Kreativsein und lernen ihre Fähigkeiten und Interessen kennen. Denn: Musik und Kunst kennen keine Behinderung! Sie bauen Brücken zwischen allen Menschen. "Wer Kunstwerke von Mencshen mit Behinderung sieht, wer die Musik von Menschen mit Behinderung hört, bekommen einen anderen Blick auf seine Mitmenschen mit Behinderung", bemerkt Hübl: „Sie sind Menschen wie jede*r andere auch, mit Vorlieben, mit Fähigkeiten, mit Ambitionen, mit dem Wunsch, mittendrin im Leben der Gesellschaft zu sein, mit der Freude, ihr Talent öffentlich zu präsentieren, Lob und Beifall zu bekommen“, so die ASH-Leitung weiter.

Von Anfang an waren Kunst und Musik ein tragendes Element in der Angebotspalette. Die Kunstgruppe des Hauses existiert seit 1999 und nahm bereits an Ausstellungen im Vormundschaftsgericht Moosburg, beim Landesverband der Lebenshilfe Bayern in Erlangen sowie bei den „Offenen Ateliers“ in Moosburg teil. Mit den Bands Meister Aubeck, die von 2002 bis 2016 von Lucia Meyer geleitet wurde und sogar den Kulturanerkennungspreis der Stadt Freising gewonnen hat, No Handicap (2002-2013) und den nASHville cowgirls and cowboys (2014-2019) tat sich das Lebenshilfe-Wohnhaus immer wieder mit besonderen Musikgruppen hervor.

„Miteinander reden, einen Vortrag halten, seine Gedanken niederzuschreiben, eine E-Mail oder eine SMS schreiben, etwas pantomimisch darstellen, … – wenn wir einmal darüber nachdenken, fallen uns sehr viele Möglichkeiten ein, die Menschen ohne Behinderungen haben, um sich mitzuteilen“, bemerkt Evi Hübl. „Menschen mit Mehrfachschwerstbehinderung sind da in der Regel sehr viel eingeschränkter. Wenn Menschen mit schwerer Behinderung musizieren oder künstlerisch gestalten, erleben sie eine Freiheit von Einschränkungen, mit denen sie sonst im Alltag konfrontiert sind. Sie können einfach ausprobieren, ihre Fähigkeiten entdecken und sich weiterentwickeln.“ Bis heute arbeiten Mitarbeiter*innen im ASH, die zum einen ihr künstlerisches oder musikalischen Handwerk sehr gut beherrschen und zum anderen aber auch die Gabe besitzen – und das ist das weitaus Wesentlichere – Musik und Kunst für Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung so erfahrbar zu machen, dass sie selber tätig werden können.

Selbstbestimmung und Personenzentrierung stehen ebenfalls ganz oben auf der Liste

Dieses Jahr beschäftigen sich alle stationären und ambulanten Wohneinrichtungen darüber hinaus mit den großen Themen Selbstbestimmung und Personenzentrierung. Ersteres wurde in Moosburg beispielsweise in Form einer farbigen Fassade umgesetzt: Nachdem die Bewohner*innenvertretung 2011 den Wunsch an die Hausleitung herangetragen hatte, dass eine farbige Fassade gewünscht wird, konnte in einer Umfrage unter sechs verschiedenen Farben ausgewählt werden. Aus diesem Grund ziert das Anneliese-Schweinberger-Haus heute eine orangefarbene Fassade. Die vermehrte Selbstbestimmung der Bewohner*innen, der sich das ASH verpflichtet fühlt, wird das Wohnhaus in den kommenden Jahren vor einige Herausforderungen stellen.

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