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Kaum zu glauben, aber wahr: Die

Frühförderung (FF) Neufahrn

feiert heuer bereits ihr 30-jähriges Jubiläum. Hervorgegangen aus der Frühförderung Freising, wird die FF Neufahrn 1992 mit einer eigenen Leitung, einer Logopädin und einer Krankengymnastin, die stundenweise eingesetzt werden, gegründet. In den vergangenen 30 Jahren ist viel passiert, die Anforderungen der zu betreuenden Kinder haben sich geändert, die Rahmenbedingungen mussten angepasst werden.

„Man kann ziemlich schnell Erfolge erzielen!“: 30 Jahre Frühförderung Neufahrn

Im Gespräch mit Pia Rumrich-Schäfer, die seit 2017 die FF leitet, zeigt sich, mit welchen Herausforderungen Frühförderstellen heute zu kämpfen haben und was ganz besonders benötigt wird, um weiterhin Kinder von klein auf entsprechend fördern zu können.

Frau Rumrich-Schäfer, warum haben Sie persönlich sich dazu entschieden, in der Frühförderung zu arbeiten?

Pia Rumrich-Schäfer: Nach meiner Ausbildung zur Ergotherapeutin 2005 wollte ich eigentlich im Erwachsenenbereich, zum Beispiel in der Neuroreha oder Forensik, arbeiten. Dann bin ich aber als Kooperationspartnerin über eine Praxis in die Frühförderung Augsburg gekommen – und die Arbeit hat mich gleich begeistert, sodass ich in diesem Bereich hängen geblieben bin. Bei der Arbeit mit Frühförderkindern kann man durch die interdisziplinäre Arbeit und die engen Kooperationen mit den Kitas ziemlich schnell Erfolge erzielen, was einen unheimlich motiviert. Hier lernt man zudem viel von den anderen Berufsgruppen in der Frühförderung wie den Pädagog*innen, Psycholog*innen und medizinischen Therapeut*innen wie Physio, Logo und Ergo – und kann das dann gleich auf die eigene Arbeitsweise übertragen.

Dann war es wohl für Sie die richtige Entscheidung, „hängen zu bleiben“?

Die Zeitplanung ist zwar anstrengend, aber insgesamt hat man mehr Flexibilität bei der Arbeitsgestaltung, kann also auch mal sehr früh oder erst später anfangen. Extrem bereichernd ist zudem der enge Kontakt zu den Familien, den man durch Hausbesuche und gemeinsame Ausflüge mit den Kindern oder gemeinsamen Essen weiter intensivieren kann. Bei langen und engen Beziehungen zu den Kindern und Familien wird man nämlich durchaus auch mal eingeladen. (schmunzelt) Durch die komplexe Frühförderarbeit bleibe ich sowohl im Kopf als auch körperlich fit und es wird niemals langweilig. In der Frühförderung Neufahrn der Lebenshilfe Freising bin ich nun seit 2017 beschäftigt.

Wie sind Sie in der Frühförderung Neufahrn aktuell personell aufgestellt?

Bis vor Kurzem waren wir ein 13-köpfiges Team, bestehend aus unserer Verwaltungskraft, einer Psychologin, fünf Pädagoginnen, zwei Ergotherapeutinnen mit mir, zwei Physiotherapeutinnen, einer Logopädin sowie einer Sprachtherapeutin. Leider hat unsere Sprachtherapeutin nun ihren wohlverdienten Ruhestand angetreten und wir haben noch keine*n Nachfolger*in gefunden… Wie fast überall merkt man auch bei uns den Fachkräftemangel.

Wie haben sich die Patient*innen und ihre Anliegen in den vergangenen Jahren verändert?

Seit ich in der Frühförderung arbeite, gehören Kinder mit allgemeinen Entwicklungsauffälligkeiten oder -verzögerungen zum Hauptklientel. Die Ursache ist meist nicht bekannt, das heißt, es liegt keine Behinderung oder Erkrankung vor.

Die Corona-Pandemie hat die Störungsbilder – vor allem im Hinblick auf die sozio-emotionale, motorische und sprachliche Entwicklung – bei den Kindern allgemein „verschlimmert“. Diese Thematik wird wohl auch noch eine Zeit lang nachhallen... Das heißt, dass dann nicht nur die Familien, sondern auch das Netzwerk, allen voran die Kitas, mehr Unterstützung brauchen.

Zu uns kommen zudem viele Familien mit Migrationshintergrund. Im Laufe der Zeit sind – vermutlich wegen des hohen Zuzugs im Speckgürtel von München – immer mehr verschiedene Kulturen hinzugekommen und auch der Krieg in der Ukraine wird das sicher noch weiter verstärken. Laut eines ansässigen Kinderarztes leben in Hallbergmoos beispielsweise 80 verschiedene Nationen.

Auch die Betreuung von Asylkindern stellt bei oftmals ungeklärtem Status immer wieder eine Herausforderung dar, weil so die Finanzierung oft nicht oder erst viel zu spät gewährleistet wird.

Migrationshintergründe bringen also von außen her Veränderungen mit sich. Wie schaut es mit Veränderungen im Inneren, in der Kernfamilie aus?

Wie allgemein bekannt ist, verbringen die Kinder heute viel mehr Zeit in den Kitas als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Weil fast immer beide Elternteile arbeiten, findet die Förderung zunehmend mehr in den Kitas direkt statt, in die die Kinder auch mit der Krippe viel eher eintreten als früher. Eigentlich werden die Familien durch den gesellschaftlichen Wandel immer bedürftiger – wie erreichen sie jedoch immer schwerer und müssen auch Bedarfe decken, die eigentlich nichts mit der Frühförderarbeit zu tun haben, sondern in den Bereich der sozialen Arbeit fallen.

Insgesamt lässt sich zudem sagen, dass die Sprachauffälligkeiten und auch die psychosozialen Probleme der Kinder immer mehr zunehmen: Früherer und häufigerer Medienkonsum über Fernseher, Handy oder Tablet sind nicht gut für die Entwicklung der Kleinen und verstärken häufig Schwierigkeiten in der Sprache und Motorik. Die Störungsbilder unserer Patient*innen sind also wesentlich komplexer geworden und es gibt immer mehr „Baustellen“, um die wir uns kümmern müssen. Zudem kommen immer mehr Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung zu uns.

Diese Veränderungen haben vermutlich auch Auswirkungen auf Ihr Team und Ihre Arbeitsweise?

Genauso ist es! Insgesamt wird alles aufwendiger: Nicht nur Erstgespräche dauern wegen des erhöhten Redebedarfs oder den Verständigungsschwierigkeiten zunehmend länger, sondern auch der ganze Aufnahmeprozess ist intensiver geworden. Wie vorhin schon angedeutet, finden viele mobile Termine mittlerweile vor Ort in den Kitas statt. Die gilt es natürlich zu koordinieren und zu organisieren. Mehr Netzwerkarbeit wird von uns gefordert, weil oftmals die Kitas direkt als Hauptansprechpartner fungieren und die Störungsbilder komplexer werden.

Im Team beschäftigen wir uns jetzt viel mit Themen wie Autismus, Elternarbeit, Migration und Selbstpflege. Obwohl wir präventiv so viel leisten wie möglich, nehmen wir Arbeit mit nach Hause: entweder gedanklich oder weil wir in der Arbeit tatsächlich nicht alles schaffen können.

Sehen Sie dann die größten Herausforderungen in den nächsten Jahren in den Bereichen Autismus, Migration und komplexeren Störungsbildern?

Ja, das sind definitiv die großen Themen der kommenden Jahre! Es kommen jetzt schon immer mehr Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung zu uns und ich denke, dass das so bleiben wird. Auch ziehen weiterhin immer mehr Familien mit Migrationshintergrund in unsere Gegend. Das heißt für uns, dass wir uns mit entsprechenden Fachstellen wie beispielsweise Dolmetschern besser vernetzen müssen. Die Störungsbilder werden ebenfalls komplex bleiben, was wiederum bedeutet, dass auch der Inklusionsfachdienst in den Kitas weiter ausgebaut werden muss und es zum Beispiel weitere Schulungen zum Thema Autismus braucht. Mit dem Anstieg der Kinderzahlen werden von uns aber auch mehr personelle Ressourcen angeboten werden müssen – es ist die Frage, ob wir das leisten können oder die Wartelisten immer länger werden. Auch die Frage nach gutem und geschultem Personal hängt oft wie ein Damoklesschwert über uns…

Wo sehen Sie die FF Neufahrn zu ihrem 40-jährigen Jubiläum 2032?

In einem schönen neuen Gebäude mit hoffentlich mehr Mitarbeiter*innen. (lacht) 2017 haben wir ja bei der Gemeinde Neufahrn eine Anfrage gestellt, ob mit der inklusiven Kita Zauberwald in Neufahrn eine neue Frühförderung und somit ein Familienzentrum Neufahrn errichtet werden kann. Darin werden dann neben dem Kindergarten auch wir als Frühförderung eingegliedert. Zudem sind Personalwohnungen geplant und eine Kinderkrippe soll in einem extra Gebäude, aber ebenso am selben Standort, untergebracht werden.

Haben Sie schon einmal daran gedacht, Ihre Arbeit aufgrund der hohen Anforderungen aufzugeben?

Nein, das kommt für mich nicht in Frage. Ich liebe meine vielfältige und herausfordernde Arbeit mit den Kindern und hoffe einfach sehr, dass die äußeren Umstände wie Raummangel, Personalnot und die vorher genannten Herausforderungen auch in Zukunft gut bewältigt werden können. Das Lächeln der Kinder und die oft schnellen Fortschritte sind für mich der beste Ansporn, dran zu bleiben! Ich kann jede*n nur ermutigen, in einer Frühförderstelle zu arbeiten.

Noch eine Frage zum Schluss, Frau Rumrich-Schäfer: Die Frühförderungen der Lebenshilfe Freising sind aktuell auf der Suche nach Firmenpatenschaften beziehungsweise Spenden allgemein. Warum ist das so wichtig für Ihre Einrichtung?

Bei uns gibt es Kinder, die viel Fördermaterial wie zum Beispiel für die unterstützte Kommunikation oder andere selbst hergestellte Hilfsmittel wie Schreib- oder Sitzhilfen benötigen. Diese sind teuer – wir müssen sie jedoch trotzdem anschaffen, um sie den Kindern auch für zuhause auszuleihen.

Wie vorhin schon gesagt, kommen auch viele Asylkinder zu uns, bei denen eben oft keine Finanzierung möglich ist. Mit Hilfe von Spenden könnten wir diese Familien unterstützen.

Und natürlich wäre es schön, wenn wir nach dem Umzug einen Raum für Spieltherapie ausstatten könnten, um so unser volles Potential entfalten zu können. Auch die Kinderzahlen werden in Zukunft steigen.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute auch für die nächsten 30 Jahre Frühförderung Neufahrn!

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