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Während es die Integrative Kindertagesstätte Am Veitshof der Lebenshilfe Freising bereits seit 30 Jahren gibt, blicken die Integrative Kindertagesstätte Moosburg, kurz InKiMo, auf ein Vierteljahrhundert und das Familienzentrum im Steinpark mit zehn Jahren auf sein erstes rundes Jubiläum zurück. Im

Interview mit den Leitungen Ulrike Hinz-Buchwald (Veitshof), Ines Milde (InKiMo) und Alexandra Voll (Steinpark)

wird deutlich, dass sich trotz des unterschiedlichen Alters alle drei Einrichtungen mit denselben Themen beschäftigen: allen voran mit der Inklusion sowie mit Familien mit Migrationshintergrund.

Vom Traum, nicht mehr über Inklusion sprechen zu müssen

Im Gespräch legen die Fachkräfte ihre (Personal-)Sorgen, die täglichen Herausforderungen im Kindergartenalltag, aber auch ihre großen Wünsche an die Zukunft auf den Tisch.


Frau Hinz-Buchwald, Sie sind bereits seit 2010 in der Integrativen Kita Am Veitshof tätig. Sind die Sorgen und Nöte der Kinder und ihrer Eltern heute gänzlich andere als noch vor 13 Jahren?

Ulrike Hinz-Buchwald: Im Großen und Ganzen sind die Sorgen und Nöte nach wie vor die gleichen. Es ist aber zu beobachten, dass diese auf keinen Fall kleiner, sondern eher größer werden. Das hängt zum einen mit dem erhöhten Betreuungsbedarf durch die Berufstätigkeit der Eltern, der auch immer mehr Anfragen für immer jüngere Kinder beinhaltet, zusammen. Gleichzeitig bleiben die Kinder viel länger in der Einrichtung, indem der Einschulkorridor genutzt wird oder eine Rückstellung vom Schulbesuch erfolgt. Das Dilemma ist wohl für viele Familien, dass sie keine erweiterte Familie vor Ort haben und wenig vernetzt sind, sodass es auch niemanden gibt, der zur Not aushelfen kann. Als ich im Veitshof 2010 angefangen habe, waren wir in der Regel die erste außerfamiliäre Betreuung für die Kinder; jetzt werden diese meist schon in der Krippe, bei einer Tagesmutter oder in unserer Spielgruppe betreut, bevor sie in unsere Einrichtung wechseln.

Die Interdisziplinären Frühförderstellen berichten vor allem seit der Corona-Pandemie über eine Zunahme des Therapiebedarfs bei den Kindern – vor allem im Hinblick auf die sozio-emotionale, motorische und sprachliche Entwicklung. Können Sie als Kindergartenleitungen dies bestätigen? Wenn ja, inwieweit wirkt sich das auf Ihren Arbeitsalltag aus?

Ines Milde: Eine Häufung der Kinder mit Auffälligkeiten in der sozio-emotionalen, motorischen und sprachlichen Entwicklung ist seit einigen Jahren – nicht erst seit Corona – deutlich zu spüren. Kinder, die in der „großen Regelgruppe“ mit 25 und mehr Kindern nicht mehr klarkommen, werden immer wieder an unsere Einrichtung weitergeleitet. Hier bekommen sie die Möglichkeiten, sich besser entwickeln und dazu positive Kontakte zu anderen Kindern knüpfen zu können.
Die Situation in den Gruppen ist mit diesen Kindern auch in unserer Einrichtung herausfordernd – für die anderen Kindern und die Mitarbeitenden. Letztere benötigen Unterstützung und noch mehr fachlichen Input, um die Situationen gut zu meistern. Zudem nutzen wir sehr oft auch die Möglichkeit der kollegialen Beratung. Hinzu kommen Kinder, die sogar in unserer „kleineren“ Gruppe überfordert sind und nicht betreut werden können. Wo die Ursachen für diese Häufung liegen, ist leider unklar.

Hinz-Buchwald: Was Frau Milde schildert, trifft auch auf meine Einrichtung zu. Besonders der Bereich der sprachlichen Entwicklung nimmt immer mehr Raum ein. Viele Familien waren während der Corona-Pandemie sehr isoliert. Bei Familien mit Migrationshintergrund fielen so die wenigen Berührungspunkte mit der deutschen Sprache wie Spielplätze, Eltern-Kind-Gruppen oder Spielgruppen weg. Für viele Kinder ist die Kindergruppe der erste Kontakt zur deutschen Sprache. Der Migrationsanteil in unserer Einrichtung liegt derzeit bei 55 Prozent, zusätzlich zu den Kindern mit verzögerter Sprachentwicklung auch im Deutschen. So wird das spielerische Erlernen der Sprache zusätzlich durch fehlende „sprechende“ Spielpartner*innen erschwert. Aber nicht nur im sprachlichen Bereich blieben manche Auffälligkeiten unentdeckt, auch im engen Eltern-Kind-Kontakt wurden sie oftmals als „normal“ empfunden.

Alexandra Voll: Ich würde eher von einer „Häufung“ des Therapiebedarfs sprechen. Wie Frau Milde schon sagte, war diese Tendenz jedoch schon vor Corona zu beobachten und hat sich in den letzten Jahren hochpotenziert. Gerade im letzten Jahr hatten wir hier im Familienzentrum im Steinpark so viele Anfrage wie nie zuvor. Zu beobachten ist auch, dass sich die Bedarfe stetig verändert haben und Diagnosen wie Autismus-Spektrums-Störung, ADS/ADHS und stärkere Verhaltensauffälligkeiten wie etwa Regulations- und Wahrnehmungsstörungen zunehmen. Zudem stellen wir fest, dass auch Kinder ohne Diagnose immer mehr Betreuungsaufwand benötigen. Dies führt grundsätzlich dazu, dass sich das Arbeiten in den Gruppen verändert hat, unsere Mitarbeitenden täglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert sind und, wie Frau Milde ebenfalls sagte, für diese Anforderungen mehr Unterstützung und fachlichen Input benötigen.
Selbst in unseren Einrichtungen, die sich schon lange mit dem Thema Inklusion beschäftigen und den Alltag der Kinder so gestalten und pädagogisch begleiten, dass sich alle im Rahmen ihrer Möglichkeit weiterentwickeln und teilhaben können, wären noch bessere Rahmenbedingungen wie zum Beispiel kleinere Gruppen und ausreichend geschultes Personal notwendig, um alle Kinder optimal fördern zu können.

Was sind ganz allgemein die Herausforderungen, denen sich eine Kindergartenleitung in 2023 stellen muss? Und wie begegnen Sie diesen?

Milde: Die größte Herausforderung ist es, ausreichend (gutes) Personal zur Verfügung zu haben, um unserem Auftrag gerecht zu werden. Es ist besonders in Moosburg sehr schwierig, freiwerdende Stellen wieder nachzubesetzen, da für gleiche Arbeit hier leider weniger gezahlt wird – die Gebietskulisse für die Großraumzulage München reicht nicht bis Moosburg.
Eine weitere Herausforderung stellt hier– noch mehr als im Veitshof – der hohe Migrationsanteil der Kinder dar. Bis zu drei Viertel der Kinder im InKiMo haben einen Migrationshintergrund. Das bedeutet zu Beginn oft ein Kommunizieren mit „Händen und Füßen“ und eine teils doch deutlich aufwendigere und schwierigere Elternarbeit, der wir uns aber gern stellen.

Hinz-Buchwald: Auch für mich in Freising ist die Personalfrage eine große Herausforderung. Kann ich alle Stellen besetzen, kann ich für alle Mitarbeitenden die richtigen Bedingungen schaffen, damit diese auch gerne und lange im Team bleiben? Leider konnte ich in diesem Jahr keine neue Spielgruppe aufbauen, da durch den wohlverdienten Ruhestand der Leiterin der Gruppe eine freie Stelle entstand, die nicht nachbesetzt werden konnte. Das ist sehr schade, da einerseits der Bedarf an Angeboten für unter dreijährige Kinder, die keine Krippe besuchen, sehr groß ist und auch, weil die Spielgruppe eine wunderbare Möglichkeit war, in unseren Kindergarten „reinzuwachsen“, Erfahrungen in einer kleinen Gruppe zu machen und oftmals den ersten Kontakt zur deutschen Sprache zu erfahren.
Zunehmend gibt es auch bei uns im IK Veitshof einen immer größer werdenden Anteil von Familien mit Migrationshintergrund, wie ich vorhin schon erwähnte. Mit Familien aus zehn europäischen Ländern, sechs asiatischen Staaten, vier Ländern des afrikanischen und drei des mittel- beziehungsweise südafrikanischen Kontinents kann man mit gutem Recht behaupten, dass die ganze Welt am Veitshof zusammenkommt.

Voll: Eine Kitaleitung in 2023 steht vor vielen Herausforderungen, der sie sich stellen muss. Wie Frau Milde erwähnte, liegt eine Herausforderung darin, ausreichend gutes und geschultes Personal zur Verfügung zu haben und dieses auch zu halten. Im Familienzentrum laden wir gerne Schüler*innen der Fachakademien ein, um unser Haus und unsere Arbeit kennenzulernen. Ich bin der Meinung, wenn wir hier positiv präsent sind, gelingt es uns auch zukünftig, neues Personal zu akquirieren. Um Mitarbeitende langfristig zu halten ist eine offene, wertschätzende und achtsame Atmosphäre sehr wichtig. Hier immer allen gerecht zu werden, die Bedarfe zu erkennen und ein gelingendes Miteinander zu fördern, fordert eine Kitaleitung täglich und benötigt auch immer wieder den Austausch im Leitungsteam, den Rückhalt des Trägers, der zum Glück gegeben ist, sowie entsprechende Fortbildungen in Mitarbeiter*innenführung.
Neben zunehmend anfallenden Verwaltungsarbeiten besteht eine weitere schwierige, aber interessante Aufgabe darin, den pädagogischen Alltag an die veränderten Betreuungssituationen anzupassen und die Einrichtung konzeptionell entsprechend weiterzuentwickeln. Hier liegt ein Schwerpunkt auf den Inhalten der Konzepttage und den pädagogischen Inhalten der entsprechenden Teamsitzungen. Für eine Kitaleitung bedeutet dies, sich stetig mit alten und neuen pädagogischen Inhalten auseinanderzusetzen, Teamsitzungen und Konzepttage auszuarbeiten, notfalls geeignete Referent*innen zu finden und die Kolleg*innen zu motivieren und mitzunehmen.


Sie alle haben ja soeben angesprochen, dass viele Kinder mit Migrationshintergrund betreut und begleitet werden. Frau Milde, können Sie und Ihr Team im InKiMo von dieser Vielfalt profitieren oder machen – überspitzt gesagt – die Verständigungsschwierigkeiten alles nur noch viel komplizierter?

Milde: Unser Standort in der Moosburger Neustadt ist schon viele Jahre ein Garant für ein kunterbuntes Miteinander. Durch die große Welle an Geflüchteten 2015 hat sich die kulturelle Vielfalt jedoch nochmals deutlich erweitert und uns damit aber auch vor diverse neue Aufgaben gestellt. Wir bemühen uns täglich um ein gutes Miteinander, um Verständnis untereinander und füreinander. Die kulturellen Verschiedenheiten prallen hier manches Mal aufeinander, aber bisher ist es uns immer gut gelungen, Erwartungen und Möglichkeiten anzugleichen. Wir spüren eine große Dankbarkeit, dass wir so offen mit den Unterschieden umgehen und die Familien bei der Integration in die Gesellschaft unterstützen. Wir nutzen die Vielfalt aber auch, um alle Kinder offen zu erziehen. Wir feiern Bayram genauso wie Nikolas mit den Kindern und sind offen für die differenzierten Belange der Familien. Zusätzlich holen wir uns an unterschiedlichen Stellen auch Hilfe, um die Verständigungsschwierigkeiten so klein wie möglich zu halten. Gern würden wir die unterschiedlichen Kulturen an der einen oder anderen Stelle noch mehr deutlich werden lassen, aber auch dies ist ein Prozess, in dem wir hoffentlich immer besser werden.


Sind Sie mit der Entwicklung Ihrer Einrichtung in den vergangenen Jahren zufrieden?

Milde: Der InKiMo hat sich als stabile Größe in der Kinderbetreuung in Moosburg etabliert und besonders zu Anmeldezeiten wird das deutlich. Viele Eltern wünschen sich für ihr Kind einen Platz im InKiMo, weil wir für Toleranz, Achtsamkeit, Integration und Miteinander stehen. Die kleinen Gruppen ermöglichen uns ein sehr individuelles Arbeiten mit allen Kindern. Wir sind hier in Moosburg die Wurzel der Integration für Kinder und werden auch als Berater für andere Einrichtungen geschätzt. Die Mitarbeitenden arbeiten alle sehr reflektiert und kindorientiert und stellen das Wohl der ihnen Anvertrauten immer an erste Stelle, woraus eine tolle pädagogische Arbeit resultiert. Wir haben über die Jahre Integration hier in Moosburg erlebbar gemacht.

Hinz-Buchwald: Ja, ich bin auch sehr zufrieden mit unserer Entwicklung. Nach einer schweren Zeit durch Corona, hohem Krankenstand und großen Personalsorgen, sind wir nun wieder gut besetzt und mit großem Engagement der Mitarbeitenden im Einsatz. Trotz all der Schwierigkeiten bekamen wir von der Elternschaft stets gutes Feedback für unsere Bemühungen, den Betrieb aufrechtzuhalten. Wie Frau Milde schon sagte, wird auch bei uns besonders zur Anmeldezeit deutlich, wie begehrt unsere Plätze sind. In der letztjährigen Elternbefragung hat es ein Elternpaar so formuliert: ‚[…] Deshalb finde ich, überhaupt einen Kindergartenplatz zu haben, ist sehr privilegiert; einen Platz im Veitshof zu haben ist DER KNALLER!‘ Solche Aussagen motivieren unglaublich! Uns ist es sehr wichtig, dass jedes Kind in seiner Ganzheit gesehen wird, jedes Individuum den passenden Platz und die notwendige Begleitung bekommt, um den eigenen Entwicklungsweg mit Spaß und Freude gehen zu können. Im Grunde genommen gilt das nicht nur für die Kinder, sondern umschließt alle Familien und auch das gesamte Team.

Voll: Mit der Entwicklung des Familienzentrums in den letzten Jahren bin ich ebenfalls sehr zufrieden. Wir bekommen sehr viel positives Feedback von Seiten der Eltern und sind auch innerhalb Freisings etabliert. Unsere Konzeption sowie unsere Haltung zur Inklusion und unser Bild vom Kind wird durch die sehr gute Arbeit aller meiner Kolleg*innen im Alltag gelebt und umgesetzt. Auch in schwierigen Situationen werden lösungsorientierte Wege und Umsetzungen gesucht.


Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Milde: Ich wünsche mir mehr Unterstützung durch die Stadt Moosburg bei der Personalfindung – eventuell auch über eine Arbeitsmarktzulage. Zusätzlich sollte sich die Kindergartenplatzsituation in der Kommune entspannen, da die verzweifelten Eltern ohne Betreuungsplatz natürlich immer zuerst in den Einrichtungen anrufen. Dann ist es an mir, den Eltern zu erklären, dass sie keinen Platz bekommen werden, was manches Mal in Tränen endet.
Darüber hinaus wünsche ich mir, dass ich immer mit Kolleg*innen arbeiten kann, die das Kind in den Mittelpunkt stellen, sich bei Ihrer Arbeit immer wieder hinterfragen und selbst auch weiterentwickeln wollen. Ich wünsche mir, dass die Kinder weiterhin neugierig bleiben, entdecken wollen und offen sind für ihre Umwelt.

Hinz-Buchwald: 30 Jahre sind für uns Menschen noch kein Alter, für unser Haus aber leider schon. Unser größtes Sorgenkind ist die sehr marode Terrasse, für deren Reparatur oder, besser noch, für deren Neubau keine Mittel im Freisinger Haushalt zur Verfügung gestellt werden. Um weitere „Einbrüche“ zu vermeiden, musste die Terrasse schon im letzten Jahr gesperrt werden, eine Wiedereröffnung ist bislang nicht in Sicht… Für die pädagogische Arbeit mit den Kindern und Hand-in-Hand mit den Familien wünsche ich mir, dass wir im Team weiterhin so engagiert und mit großer Freude unser Wissen und unsere Erfahrungen einbringen, um auch in Zukunft mit fröhlichen Kindern und zufriedenen Eltern eine große Kindergartenfamilie zu bilden.

Voll: Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir nicht mehr über Inklusion sprechen müssen, sondern dass diese selbstverständlich umgesetzt wird. Dass Rahmenbedingungen für diese Umsetzung geschaffen werden und Teilhabe nicht vom Geld abhängig ist. Ich wünsche mir Beschäftigte, die motiviert sind, mit mir das Familienzentrum weiterzuentwickeln und notfalls auch kreative und unkonventionelle Ideen haben, um allen Kindern Teilhabe zu ermöglichen.
Ich wünsche mir weiterhin eine Elternschaft, die uns positiv unterstützt und die bereit ist, mit uns einen offenen und konstruktiven Dialog zu führen.
Ein großer Wunsch von mir sind Kinder, die mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen, die neugierig sind und ihre Welt entdecken möchten, die sich auch mal was zutrauen, die Fragen stellen, die experimentieren und Spaß am Miteinander haben… und ein Umfeld, das ihnen genau dies ermöglicht.

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