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„Wir brechen auf, lass die Leinen los – Die Welt ist klein und wir sind groß“

Reportage über den Unterricht mit Schulhündin Peppa

im Förderzentrum mit Schwerpunkt geistige Entwicklung

Reportage über den Unterricht mit Schulhündin Peppa

Montag, 07:50 Uhr: Aula Bildungszentrum Gartenstraße

Ich werde mit einem Schwanzwedeln in der Aula des Privaten Förderzentrums mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung - Schule mit Profil Inklusion abgeholt: Von Schulhündin Peppa, ihrer Besitzerin und Lehrerin, Isabella Theiß, sowie Schülerin Miriam*, die Peppa an der Leine führt.

Wir gehen gemeinsam in den zweiten Stock in den Klassenraum der MS3. Dort herrscht bereits vor dem offiziellen Unterrichtsbeginn reges Treiben: Die Klasse besteht aus zehn Kindern im Alter von elf bis 13 Jahren. Die Schüler*innen im Förderzentrum haben alle eine Beeinträchtigung, meist Schwierigkeiten beim Lernen und benötigen zusätzliche Unterstützung. Peppa ist ein wichtiger Teil dieser Unterstützung.

Als Schulhündin ist sie nämlich eine ganz besondere Mitarbeiterin: Peppa ist keine gewöhnliche Hündin. Sie ist speziell trainiert und ausgebildet, um mit Kindern (mit geistiger Behinderung) zu arbeiten. Die Schüler*innen freuen sich jeden Tag auf Peppas Besuch. Sobald sie den Klassenraum betritt, sind alle Augen auf sie gerichtet. Peppa geht dann reihum und begrüßt mit einem liebevollen Nasenstups oder einem sanften Lecken.

Immer da, wenn alle Stricke reißen

Einfach so, wir müssen nix beweisen

Ich tret‘ in die Pedale, du hältst mein‘ Rücken

Fahrrad ausm Park, erst morgen früh zurückbring‘

Zeit ist knapp, wir sind verschwenderisch

Man sagt, nix hält für immer, doch ey, warum denn nicht?

Was sagt der Rest der Bande? Macht es Sinn?

Wie‘s war, weiß ich morgen – okay, komm, lass da hin

07:55 Uhr:

„Peppa hat am Wochenende Geburtstag!“ Mit diesen Worten betritt Moritz das Klassenzimmer und steuert direkt auf die Hündin zu, die ihn prompt schwanzwedelnd begrüßt. Währenddessen ist Michael schon damit beschäftigt, den heutigen Stundenplan auf Anweisung der Lehrerin am Whiteboard festzuhalten. Ihre Worte unterstreicht Isabella Theiß dabei mit Gebärden – Michael hat eine kombinierte Entwicklungsstörung mit Schwerpunkt im expressiv-sprachlichen Bereich und kann keine Worte formulieren.

Wir könn‘ das Buch selber schreiben

Es gibt genug freie Seiten

Für immer bunteste Zeiten

Ich weiß, für uns wird‘s so bleiben

08:00 Uhr: Offizieller Unterrichtsbeginn

Felix kommt im Rollstuhl mit seiner Schulbegleitung in das Klassenzimmer gerollt. Um richtig im Raum anzukommen, stupst Peppa den schwerstmehrfachbehinderten Jungen an, die Schulbegleiterin führt Felix‘ Hand auf den Rücken der Hündin, woraufhin der Junge merklich ruhiger wird.

Während des Unterrichts bleibt Peppa in der Nähe der Schüler*innen und hilft ihnen, sich zu konzentrieren. Wenn jemand unruhig wird, geht sie hin und legt ihren Kopf auf den Schoß. Oder Lehrer*in oder Schulbegleiter*in führen die Hand des Kindes zu Peppa, um sie zu spüren und zu streicheln. Das beruhigt das Kind und hilft ihm, sich zu fokussieren.

Wir fliegen weg, denn wir leben hoch

Gewinnen alles und gehen k.o.

Wir brechen auf, lass die Leinen los

Die Welt ist klein und wir sind groß

Und für uns bleibt das so

Für immer jung und zeitlos

Wir fliegen weg, denn wir leben hoch

Die Welt ist klein und wir sind groß

08:10 Uhr: Zeit für den Morgenkreis

Nach dem offenen Einstieg in den Schultag kommen die Kinder schließlich zum gemeinsamen Morgenkreis in der Mitte des Klassenzimmers zusammen. Peppa ist nicht nur eine Helferin im Unterricht. Sie ist auch eine Freundin und ein wichtiger Teil der Gemeinschaft in der Klasse. Wie selbstverständlich liegt sie beim Morgenkreis in der Mitte der Kinder. Mittendrin statt nur dabei eben!

Isabella Theiß ist sehr glücklich darüber, dass Peppa Teil ihrer Klasse ist: „Peppa hilft meinen Schüler*innen, sich zu konzentrieren und durch den Umgang mit ihr lernen sie, immer mehr Selbstvertrauen zu haben. Sie ist eine wunderbare Begleiterin und macht den Unterricht noch angenehmer und erfolgreicher.“ Peppas Arbeit mit den Schüler*innen mit geistiger Behinderung ist von unschätzbarem Wert und zeigt, wie Tiere helfen können, das Leben von Menschen zu verbessern.

Immer da, ohne Rückspiegel

Keine Fragen, einfach mitziehen

Dir fallen dir Augen zu – dann gib das Steuer her

Durchströmen Richtung Süden und wir sehen das Meer

Unsre besten Fehler, ich lass‘ sie laminieren

Pack‘ sie in die Jeans, trag‘ sie nah bei mir

Lass uns rauf aufs Dach, da ist der Himmel näher

Ey, die Zeit ist knapp, zusammen hab‘n wir mehr

08:20 Uhr: Große Fragestunde

Jetzt ist meine Zeit gekommen. Ich darf den Schüler*innen Fragen stellen, sie etwas kennenlernen. „Findet Ihr es gut, dass Peppa bei Euch ist?“, frage ich. Die Antwort liegt auf der Hand, bei allem, was ich bisher miterleben durfte. Die Atmosphäre in der Klasse ist merklich entspannt durch die Schulhündin. Hat ein Kind Schwierigkeiten, im Hier und Jetzt zu sein, so hilft oft schon die bloße Berührung des Vierbeiners, es in die Gegenwart zurückzuholen. Isabella Theiß bittet ihre Schützlinge, zu berichten, was sie denn mit Peppa so machen während der Schulzeit: „Peppa lernt mit uns!“ – „Sie spielt mit uns: Stöckchen fangen, Leckerlis in unserer Hand suchen.“ – „Wir gehen zusammen Gassi, kuscheln mit ihr.“ – „Und auch bei der Schulhausübernachtung war Peppa mit ihrem Leuchthalsband ganz nah bei uns.“ Erzählt wird mir das alles mit Worten, mit Gebärden oder auch mit der Sprachausgabe des IPads.

Wir könn‘ das Buch selber schreiben

Es gibt genug freie Seiten

Für immer bunteste Zeiten

Ich weiß, für uns wird‘s so bleiben

08:30 Uhr: Lernen über Hunde im Vorfeld

„Alle mögen mit Peppa kuscheln“, lautet der einstimmige Tenor. Ob sie auf Felix aufpasse, Pfötchen gebe, sich streicheln ließe oder Befehle wie ‚Sitz‘ oder ‚Platz‘ entgegennehme – alles sei lustiger, wenn Peppa da ist, sagen die Kinder. Wenn es für die Schüler*innen schwierig ist, ins Klassenzimmer zu kommen, holt Peppa diese eben ab und begleitet sie.

Ich erfahre auch, was alles notwendig ist, bevor überhaupt ein Schulhund in die Klasse kommen kann. Selbstverständlich stand das Thema „Hund“ lange Zeit vorher auf dem Stundenplan. Heute wissen die Kids ganz genau, wie sie Peppa auch in ihrer Rolle „schützen“ können: Sie achten auf ihre Lautstärke, wissen um die Bedeutung von Peppas Schwanzhaltung und erkennen, wann es ihr zu viel ist und sie ihre Ruhe möchte. Als Rückzugsmöglichkeit steht der Hündin jederzeit ein offener Käfig “Kennel“ im Klassenraum zu Verfügung. Am Liebsten ist sie jedoch mitten im Getümmel und einfach „dabei“.

Der erste gemeinsame Tag mit Peppa war für alle sehr spannend. Die Hündin sei – ebenso wie sie selbst – sehr aufgeregt gewesen, berichten die Schüler*innen. „Sie hat unsere Hände beschnüffelt und war anfangs nur an der Leine“, berichtet Paulina. Während zwei Schüler anfangs eher ängstlich und vorsichtig waren, hat mittlerweile jede*r seinen*ihren Weg mit der Hündin gefunden. „Es ist ganz normal, dass Peppa bei uns ist“, bemerkt Maya. Sie hat ihren Platz in der Mitte der Klasse.

Wir fliegen weg, denn wir leben hoch

Gewinnen alles und gehen k.o.

Wir brechen auf, lass die Leinen los

Die Welt ist klein und wir sind groß

Und für uns bleibt das so

Für immer jung und zeitlos

Wir fliegen weg, denn wir leben hoch

Die Welt ist klein und wir sind groß

08:45 Uhr: Ein-mal-Eins am Boden

Die zweite Unterrichtsstunde beginnt. Nun wird es Zeit, sich nach dem eigentlichen Stundenplan zu richten, der durch meinen Besuch etwas durcheinandergekommen ist. Mathe mit dem Ein-mal-Eins steht auf dem Plan. Isabella Theiß verteilt die Aufgaben passend für jedes Kind. Während zwei Schüler mit ihrer Schulbegleitung an einem Aufgabenblatt oder mit ihrem individuellen Arbeitsmaterial arbeiten, setzt sich der Rest auf kleinen Teppichen auf den Boden. Felix liegt auf seiner Matte, dicht an dicht mit Peppa.

Ho-och, ho-och

Die Welt ist klein und wir sind groß

Ho-och, ho-och

Wir sind groß

Ho-och, ho-och

Für immer jung und zeitlos

Ho-och, ho-och

Die Welt ist klein und wir sind groß

08:55 Uhr: „Wir sind groß“

Ob Peppa nun in realità mitten unter den Schüler*innen ist, oder auch manchmal nur als „Double“ in Farins Kopf herumgeistert: Ein Schulhund bringt so viel mehr Ruhe in die Klasse, dass alle davon profitieren können – ganz egal ob Menschen mit oder ohne Behinderung, ob Kinder oder Erwachsene.

Für mich wird es Zeit, mich hinauszuschleichen und die Klasse weiterarbeiten zu lassen. Was mir jedoch noch Wochen später im Kopf herumgeistert, ist nicht nur Mark Forsters Lied „Wir sind groß“, das die MS3 als Monatslied zum Morgenkreis hört und mitsingt, mitgebärdet oder dem sie auch einfach nur lauscht, sondern ebenso Peppas feuchte Schnauze und ihre wachsamen Augen, die jeden einzelnen Schritt ihrer Schützlinge beobachten. Nicht umsonst wusste ja auch schon Hildegard von Bingen: „Gib dem Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund.“

Wir fliegen weg, denn wir leben hoch

Gewinnen alles und gehen k.o.

Wir brechen auf, lass die Leinen los

Die Welt ist klein und wir sind groß

Und für uns bleibt das so

Für immer jung und zeitlos

Wir fliegen weg, denn wir leben hoch

Die Welt ist klein und wir sind groß **

*) Alle Namen von der Redaktion geändert

**) im Fettdruck: Lyrics von „Wir sind groß“ – Mark Forster

Hintergrundinfos:

Die Schulhund-Ausbildung von Isabella Theiß und Peppa schulte das Hund-Mensch-Team.

Die Ausbildung geht über ein Jahr – 12 Ausbildungstage mit einer Gesamtstundenzahl von 105 Stunden, inklusive schriftlicher und praktischer Prüfung mit anschließendem Prüfungsgespräch zu folgenden Themen: Wirkmechanismen von Schulhunden, Anforderungen an eine Schulhundelehrkraft, rechtliche Vorgaben, Erstellung eines Schulhundkonzepts und eines Hygieneplans, Wie lernen Hunde, Hundekommunikation – Ausdrucksverhalten von Hunden, Abbau von möglichem unerwünschtem Verhalten, Erste Hilfe in der Schulhundearbeit, Anatomische Grundkenntnisse, Stressmanagement, uvm.

Schulhunde sind wichtige Lernbegleiter, die die Arbeit mit den Schüler*innen unterstützen. Jeder Schulhunde-Einsatz wird individuell auf das Hund-Mensch-Team abgestimmt. Das Wohl aller Beteiligten (Schüler*innen und Hund) steht stets an oberster Stelle. Der Schulhund soll lange einsatzfähig bleiben, deswegen wird er keinem unnötigen Stress ausgesetzt. So wird der Hund nicht mehr als drei (Peppa „nur“ zwei) Einsatztage pro Woche haben und nur fit und gesund mitgenommen.

Die Schüler*innen im BiG haben alle eine Entwicklungsverzögerung und eine Einschätzung im kognitiven Bereich, gemessen durch standardisierte IQ-Testungen.

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