"Politisch sein heißt Mensch sein" – Sommerempfang 2025 der Lebenshilfe Freising setzt gesellschaftliche Akzente
Ein herzlicher Empfang und viele Begegnungen
Ab 18:00 Uhr wurden die Gäste persönlich von Mitgliedern des Lebenshilfe-Vorstands willkommen geheißen. Schon beim offiziellen Sektempfang sorgten die Feger Spezies mit ihren mitreißenden Klängen für eine lebendige Atmosphäre und begleiteten die angeregten Gespräche musikalisch. Zwischen den einzelnen Programmpunkten setzten die fünf Musiker immer wieder stimmungsvolle Akzente, die nicht nur unterhielten, sondern auch einen stimmigen Bogen zwischen den Reden setzen.
Robert Wäger, Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe Freising, begrüßte in seiner Eröffnungsrede zahlreiche Ehrengäste, darunter Landrat Helmut Petz, den Landtagsabgeordneten Benno Zierer, die Bezirksrätin Marianne Heigl und den Bezirkstagsvizepräsidenten Rainer Schneider sowie alle anwesenden Bürgermeister*innen aus dem Landkreis. Auch Vertreter*innen des Vorstands der Lebenshilfe, des Stiftungsrats, der örtlichen Schulen, Mitarbeitende und engagierte Selbstvertreter*innen wurden willkommen geheißen. Wäger hob die gute Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulen hervor, die sich auf hohem fachlichen und menschlichen Niveau bewege und ein wichtiger Bestandteil gelebter Inklusion sei.
Monika Haslberger, stellvertretende Vorsitzende der Lebenshilfe Freising, begrüßte als Hauptrednerin Carolina Trautner, die Landesvorsitzende der Lebenshilfe Bayern, mit persönlichen Worten: „Frau Trautner ist ein Glücksfall für die Lebenshilfe – nicht nur für Bayern, sondern für die gesamte Lebenshilfe-Bewegung.“
Klartext für Vielfalt – Grußwort von Sozialreferentin Dr.-Ing. habil. Charlotte Reitsam
Ein erster Höhepunkt des Abends war das engagierte Grußwort von Dr.-Ing. habil. Charlotte Reitsam, Sozialreferentin der Stadt Freising. In einer kraftvollen und politischen Rede würdigte sie das Wirken der Lebenshilfe Freising: „Ihr täglicher Einsatz ist Ausdruck gelebter Inklusion – in Werkstätten, in Wohneinrichtungen, in der Frühförderung und der Freizeitbegleitung.“ Sie hob die enge Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Lebenshilfe hervor, insbesondere in der Agenda 21-Gruppe „Menschen mit Behinderung“. Gleichzeitig stellte Dr. Reitsam den gesellschaftspolitischen Kontext in den Mittelpunkt: Sie warnte eindringlich vor rechtspopulistischen Tendenzen – ob in Europa oder im Zusammenhang mit dem US-amerikanischen „Projekt 2025“. Dieses propagiert laut Dr. Reitsam eine rücksichtslose Technokratie, die Inklusion, Teilhabe und soziale Gerechtigkeit systematisch untergräbt.
„Inklusion ist ein Menschenrecht – und kein politisch verhandelbares Zugeständnis“, betonte sie unter Verweis auf Artikel 1 und 3 des Grundgesetzes. Sie forderte klare Haltung: gegen Ausgrenzung, gegen Spaltung - und für eine Gesellschaft der Vielfalt. Mit Blick auf Deutschland warnte sie vor politischen Kräften, die die Grundwerte eines inklusiven Zusammenlebens infrage stellen: „Gerade jetzt ist es wichtig, Haltung zu zeigen – für ein demokratisches Miteinander.“
Politische Impulse mit Herz – Hauptrede von Carolina Trautner
Im Anschluss folgte der Festvortrag der Landesvorsitzenden der Lebenshilfe Bayern, Carolina Trautner, unter dem Titel "Politisch sein heißt Menscht sein". In einer charmanten Einleitung nahm Trautner Bezug auf die Rede von Sozialreferentin Dr. Reitsam: „Sie sprechen mir aus der Seele.“ Bereits diese Worte wurden mit herzlichem Zwischenapplaus aufgenommen. In der Folge fand Trautner klare, mutmachende und zukunftsgerichtete Worte für eine inklusive Gesellschaft – und für die Rolle der Lebenshilfe als politische Kraft mit Herz.
In ihrer pointierten und leidenschaftlichen Rede betonte sie: „Ich bin als Mensch politisch – und als Politikerin bin ich Mensch.“ Sie legte dar, dass jede Form des Engagements, insbesondere im Ehrenamt, eine politische Aussage sei. Am Beispiel der Lebenshilfe zeigte sie, wie Eltern durch Selbsthilfe politisch wurden – indem sie sich nicht mit den staatlichen Angeboten zufriedengaben, sondern mehr für ihre Kinder forderten.
Die Lebenshilfe – von der Selbsthilfe zur politischen Kraft
Trautner spannte den Bogen von den Anfängen der Lebenshilfe bis hin zu ihrer heutigen politischen Bedeutung: Von ersten Elterngruppen in den 1960er Jahren hin zur heutigen Bundesvereinigung mit über 490 Ortsvereinigungen und einem starken Landesverband in Bayern mit 160 Mitgliedsorganisationen. „Die Lebenshilfe war immer politisch – und muss es auch bleiben“, betonte sie. Die Sozialministerin a.D. lobte insbesondere das politische Selbstverständnis der Lebenshilfe Freising, die in einem eigenen Positionspapier Inklusion und Barrierefreiheit als klare gesellschaftliche Forderung formuliert hat. (Anm. d. Red.: Dieser Text wurde bereits als Leitartikel zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am 5. Mai diesen Jahres veröffentlicht.)
Barrierefreiheit als Voraussetzung für Inklusion
Ein zentraler Punkt ihrer Rede war die Bedeutung von Barrierefreiheit als Grundvoraussetzung für Inklusion. Dabei gehe es nicht nur um bauliche Maßnahmen, sondern auch um Kommunikation, digitale Zugänglichkeit und gesellschaftliches Verständnis. Trautner forderte, bestehende Barrieren endlich ernsthaft abzubauen – ob sichtbar oder unsichtbar: „Inklusion ist ein Prozess. Wir dürfen nicht zulassen, dass er zum Stillstand kommt.“ Ein wichtiges Zukunftsanliegen wurde ebenfalls benannt: Die Lebenshilfe Bayern plant, künftig eine*n Selbstvertreter*in in den Vorstand des Landesverbands wählen zu lassen – ein weiterer Schritt hin zu echter Teilhabe auf Augenhöhe.
Im Dialog: Was bedeutet politisches Selbstverständnis für eine Lebenshilfe?
Ein besonderer Moment des Abends war der Dialog zwischen Trautner und dem Geschäftsführer der Lebenshilfe Freising, Johannes Reicheneder. Gemeinsam reflektierten sie, was es heute bedeute, politisch zu sein – gerade auch im sozialen und zivilgesellschaftlichen Bereich.
Reicheneder stellte eingangs die Frage, ob wir es uns heute überhaupt noch leisten könnten, unpolitisch oder unbeteiligt zu sein. Trautner betonte, dass politisches Handeln im Alltag beginne – im Beruf, im Ehrenamt, in der Familie. „Politisch sein ist eine Haltung gegen Gleichgültigkeit.“ Sie antwortete mit Nachdruck: „Wir können es uns nicht leisten, uns zurückzulehnen. Wenn wir uns nicht auf den Weg machen, dann machen es andere politische Kräfte – solche, die wir nicht wollen. Die Lebenshilfe ist nicht parteipolitisch – aber es gibt Parteien, mit denen eine Zusammenarbeit ausgeschlossen ist.“ Trautner betonte, dass politisches Engagement nicht zwangsläufig institutionell sein müsse: „Es braucht keine politische Ebene, um etwas zu bewegen. Man muss einfach anpacken, hinterfragen und sich einbringen. Nicht immer braucht es Geld – Motivation und Begeisterung sind oft die treibenden Kräfte.“
Auch die Rolle der Lebenshilfe vor Ort wurde thematisiert: „Wie können wir als Lebenshilfe Freising unseren politischen Anspruch noch sichtbarer machen?“, fragte Reicheneder. Trautner bestärkte die Organisation, sich insbesondere auf kommunaler Ebene weiter einzumischen, Position zu beziehen und Netzwerke zu knüpfen. Sie erwiderte: „In der unmittelbaren Kommune geht’s los. Das Falscheste, was man tun kann, ist, sich gar nicht zu kümmern.“
Schließlich wurde auch der gesellschaftliche Rechtsruck mit der letzten Fragen „Wie begegnen wir der Rückwärtsgewandtheit, die Inklusion in Frage stellt?“ angesprochen. Die Vorsitzende der Lebenshilfe Bayern forderte an dieser Stelle klare Worte, Mut und Haltung: „Die Lebenshilfe ist eine unverzichtbare Stimme. Sie muss parteipolitisch unabhängig, aber eindeutig in ihrer Haltung bleiben.“ Trautner sagte darüber hinaus: „Wir müssen mit den Menschen reden – ihnen zuhören, ohne sie gleich zu verurteilen. Wer AfD wählt, ist nicht automatisch extremistisch, viele Menschen haben einfach den Glauben an die Politik verloren. Wenn wir gute Politik machen, gute Arbeit leisten und Haltung zeigen, können wir überzeugen. Das ist kein einfacher Spaziergang, aber notwendig. Zusammenhalt ist das Wichtigste.“
Der Dialog endete mit den Worten von Reicheneder: „Frau Trautner – als Mensch politisch und als Politikerin Mensch – herzlichen Dank für Ihre klaren Worte und Ihren Besuch bei der Lebenshilfe Freising.“
Dank und Ausblick
Zum Abschluss des offiziellen Programms richtete Wäger erneut das Wort an die Gäste. Er wies darauf hin, dass am 8. März 2026 Kommunalwahlen stattfinden – und damit auch in Freising ein neuer Landrat gewählt wird. „Ich hoffe, dass die Gespräche und Impulse dieses Abends neue Ideen angestoßen haben“, so Wäger. Er erinnerte daran, dass die Lebenshilfe Freising mittlerweile über 700 Mitarbeitende beschäftigt – und damit ein wichtiger sozialer Arbeitgeber in der Region ist. Gleichzeitig rief er dazu auf, Mitglied der Lebenshilfe zu werden: „Die Lebenshilfe braucht Ihre Unterstützung – mehr denn je.“
In ihren Abschlussworten brachte Haslberger die ernste gesellschaftliche Lage auf den Punkt: „Es macht mich traurig, dass wir auch nach über 60 Jahren, in denen es die Lebenshilfe nun schon gibt, immer noch dafür kämpfen müssen, dass Menschen mit Behinderung als selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft anerkannt werden.“ Sie stellte klar: „Die Lebenshilfe und die AfD sind unvereinbar.“ Die Lebenshilfe gehöre zu den Leisen – doch in der Gesellschaft fänden oft die Lauten Gehör. Haslberger forderte: „Vielleicht müssen auch wir lauter werden.“
Für kulinarischen Genuss im Anschluss an den offiziellen Teil sorgte das Team des Viva Vita, das mit einem abwechslungsreichen Flying Buffet aufwartete und bis in den späten Abend hinein für das leibliche Wohl der Gäste sorgte.
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