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„Inklusion ist und bleibt unsere Vision", sagte Johannes Reicheneder bei der diesjährigen

Mitgliederversammlung der Lebenshilfe Freising

Ende November. Zum ersten Mal wurde jedoch auch richtig deutlich, dass die Lebenshilfe vor einigen großen Finanzierungsproblemen steht. Ausgelöst nicht durch den Verein selbst, sondern vor allem aufgrund ausstehender Refinanzierungen und Zahlungsrückstände durch die Kostenträger.

Inklusion, steigende Fallzahlen, zunehmende Komplexität, ein Ausfallproblem und globale Krisen halten den Verein auf Trab

„Wir kämpfen dafür, dass es wieder aufwärts geht mit der Lebenshilfe Freising.“ Mit diesen Worten brachte Johannes Reicheneder, Geschäftsführer des Lebenshilfe Freising e.V. und der Integrationsprojekt Freising gGmbH (Viva Viva und SerVita) sowie Stiftungsvorstandsvorsitzender der Stiftung Lebenshilfe Freising die große Hoffnung des Vereins zum Ausdruck. Bei der Mitgliederversammlung am vergangenen Dienstag, den 28. November 2023, die aufgrund fehlender valider Daten für den Jahresabschluss 2022 dieses Jahr später als üblich stattfand, wurde zum ersten Mal richtig deutlich, dass die Lebenshilfe vor einigen großen Finanzierungsproblemen steht. Ausgelöst nicht durch den Verein selbst, sondern vor allem aufgrund ausstehender Refinanzierungen und Zahlungsrückstände durch die Kostenträger.

Der Jahresabschluss 2022 bescherte der Lebenshilfe dieses Mal keinen Grund zum Jubeln: Rund 787.000 Euro mussten aus den Rücklagen und Ersparnissen entnommen werden, um die Bilanz mit Einnahmen und Ausgaben von 34,4 Mio. Euro auszugleichen. Grund für diesen Quasi-Verlust sind hauptsächlich ausstehende Kostenübernahmen durch den Staat. Die meisten Leistungen der Lebenshilfe sind durch den Bezirk Oberbayern, die Regierung von Oberbayern, Städte und Gemeinden gedeckt. Theoretisch jedenfalls. Denn praktisch gleicht die Finanzierung die eigentlichen durch die Energiekrise und Inflation gestiegenen Sach- und durch die Tariferhöhungen gestiegenen Personalkosten schon lange nicht mehr aus. Hinzu kommt, dass die Kostenträger bis zu zwei Jahre mit ihren Zahlungsverpflichtungen im Rückstand sind und der Verein so weitere enorme Kosten ausständig hat.

„Ich finde es fast schon skandalös, wie wir von der Politik alleine gelassen werden“, empört sich die 1. Vorsitzende, Monika Haslberger. „Wir müssen weiterhin ganz intensiv Gespräche führen, um auf die Probleme aufmerksam zu machen.“ Das Vertrauen in die Geschäftsführung und den Vorstand, der wieder einstimmig entlastet wurde, ist auf jeden Fall da. Reicheneder zeigt Kämpferwille, dass es mit der Lebenshilfe trotz steigender Fallzahlen, zunehmender Komplexität und einem hohen Ausfallproblem wieder aufwärts geht.

Bericht aus der Integrationsprojekt Freising gGmbH: „Ich bin optimistisch gestimmt.“

Denn auch das Integrationsprojekt Freising (IPF) mit SerVita und Viva Vita steht nicht gerade positiv da. Während sich der erstgenannte Geschäftsbereich mit dem Garten- und Landschaftsbau eine echte Nische in der großen Kreisstadt erarbeitet hat und auch die Reinigungsfirma gut ausgelastet ist, hatten die postpandemischen Auswirkungen sowie der Ukraine Krieg große wirtschaftliche Folgen für das ehemalige Restaurant und heutige Tagungshaus Viva Vita. Der Abwärtstrend des Vorjahres konnte auch 2022 nicht gestoppt werden, weshalb die IPF gGmbH auf einen Jahresfehlbetrag von 111.000 Euro blickt. Ein weiterer Rückgang des Geschäftsvolumens ist die bittere Konsequenz.

„Ich bin aber optimistisch gestimmt – das ist übrigens auch mein Job“, so Reicheneder angesichts der Entwicklungen. „Wir haben ein geschäftliches Umfeld, in dem wir aus eigener Tat- und Gestaltungskraft wieder unternehmerisch gestalten und wirtschaften können. Der Betriebsteil Viva Vita mit dem Geschäftszweig Catering und Tagungsbetrieb muss wieder in eine solide und sich selbst tragende Position kommen.“ Dafür bemühen sich die Betriebsleitung und die Geschäftsführung um neue Aufträge im Cateringgeschäft. Aufgrund der Strategieanpassung im Tagungs- und Cateringgeschäft wird deshalb die Geschäftsentwicklung der IPF auch trotz allem als positiv beurteilt.

Bericht aus der Stiftung Lebenshilfe Freising: Solide finanzielle Lage

Erfreulicherweise verzeichnete die Stiftung Lebenshilfe 2022 wieder einen Zuwachs an Spenden, der mit rund 76.000 Euro zwar noch lange nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht hat, aber immerhin in die richtige Richtung geht. Zuletzt wurden mit dem Lebenslauf im Oktober über 23.000 Euro an Spenden eingenommen, Spenden zur Weihnachtszeit sind ab sofort möglich. Somit ist die Stiftung finanziell solide aufgestellt, sodass auch das Eigentum Wohnhaus Johannisstraße finanziell bei nötigen Sanierungen 2024 unterstützt werden kann.

Lebenshilfe Freising e.V.: Inklusion, steigende Fallzahlen, zunehmende Komplexität und ein Ausfallproblem

Neben der finanziellen Lage machen Reicheneder und seiner Stellvertreterin Christina Binder, die sich auf der diesjährigen Mitgliederversammlung nochmals offiziell vorgestellt hat, aber auch weitere Themen Kopfzerbrechen:

Wie bereits aus der Berichterstattung im Laufe des Jahres deutlich wurde, verzeichnet nicht nur die Förderschule eine zunehmende Zahl an Schüler*innen und stößt damit an ihre Kapazitäten, sondern auch in der Heilpädagogischen Tagesstätte, den Kitas, in der Förderstätte in Moosburg und in den Wohneinrichtungen übersteigt mittlerweile die Nachfrage das Angebot. Hinzu kommt eine zunehmende Komplexität in diversen Bereichen: Die (Hilfe-)Bedarfe, die Leistungen, aber auch die Ansprüche werden immer diffiziler – was laut Reicheneder auch absolut verständlich und berechtig sei, das Arbeiten jedoch herausfordernder machten.

Mehr zu betreuende Personen und eine erhöhte Komplexität ziehen automatisch mehr benötigtes Personal nach sich. Während bis auf wenige Einrichtungen fast alle Bereiche bei der Lebenshilfe ausreichend Mitarbeitende haben und sich lediglich die Suche nach Sozialpädagog*innen schwierig gestaltet, wagt sich Reicheneder sogar so weit vor zu sagen: „Wir haben keinen Personalmangel, aber wir haben ein großes Ausfallproblem.“ Im Klartext heißt das, dass die Lebenshilfe Freising als gute Arbeitgebermarke für gute Arbeitsbedingungen sorgt, was interessierte Mitarbeitende anzieht. Gleichzeitig bildet der Verein im großen Stil aus und hat dank eines ausgeklügelten Aus- und Weiterbildungsprogramms die Chance, viele Azubis auch nach ihrer Ausbildung im Unternehmen halten zu können. Gleichzeitig kämpfen jedoch auf dem Papier gut aufgestellte Einrichtungen teils mit einem hohen Personalausfall, der sich vor allem in den Wohneinrichtungen und Kindertagesstätten bemerkbar macht. Grund hierfür seien vor allem der Schichtdienst, zunehmend herausforderndes Verhalten der Klient*innen, Atemwegserkrankungen und psychische Erkrankungen, durch die andere Kolleg*innen dann erneut Mehrarbeit leisten müssen, so Reicheneder in seinem Bericht. Die Lebenshilfe hat dieses Problem bereits vor einiger Zeit erkannt und ist aktiv damit beschäftigt, Lösungen zu finden, Arbeitsbedingungen zu verbessern und mit den betroffenen Personen Gespräche zu führen.

Zu guter Letzt haben, wie eingangs bereits erwähnt, auch die Auswirkungen von Krisen und Krieg Einfluss auf die angespannte Situation bei der Lebenshilfe. „Wir sprechen von allgemein steigenden Kosten, nicht gedeckten Kosten, einem stockenden Mittelfluss, überbordender Bürokratie und einer entgrenzten – da nicht mehr nachvollziehbaren und unnötig in die Länge gezogenen – Prüfung“ resümiert Reicheneder den Status Quo.

Bericht aus den Isar Sempt Werkstätten: „Wenn wir aufhören zu rudern, treiben wir ab.“

„Die Isar Sempt Werkstätten haben im Grunde genommen dieselben Probleme wie der Verein“, schließt Albert Wittmann, Geschäftsführer der ISW GmbH, in seinem Bericht an. Seit drei Jahren sei es, laut Wittmann, nicht möglich, mit dem Bezirk zu verhandeln, angeblich wegen des dortigen Personalmangels. Auch die ISW kämpft mit höheren Personal- und Sachkosten und hätte – der Geschäftsführer formuliert das ganz klar – im Sommer eigentlich Insolvenz anmelden müssen, da die Löhne und Gehälter nicht mehr gezahlt werden konnten. Ein Überbrückungskredit, der ohne Probleme gewährt wurde, konnte kurzfristig Abhilfe schaffen. „Wir werden nicht in die Insolvenz gehen“, betont Wittmann, „aber rein kaufmännisch ist das eigentlich eine Katastrophe.“ Warum partout an der Werkstatt festgehalten wird, hat mehrere Gründe: Was in der Gartenstraße 42 in den vergangenen Jahren auf die Beine gestellt wurde, sucht seinesgleichen. Zahlreiche engagierte Mitarbeitende setzen täglich alles dafür in Bewegung, die Arbeit für die dort angestellten Menschen mit Behinderung so passend wie möglich zu gestalten. Wer einmal durch die Werkstätte gegangen ist, spürt die angenehme Atmosphäre und sieht die Resultate, die dort vollbracht werden. Die Sinnhaftigkeit der Arbeit ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Dazu kommt, dass die Werkstätten, Freising und auch Erding, komplett durchsaniert sind und sich in einem guten energetischen Zustand befinden, was ihnen in der aktuellen Energiekrise zu Gute kommt. Auch einen Fachkräftemangel kann Wittmann, bis auf die bereits oben genannten Sozialpädagog*innen, nicht erkennen; es seien alle Stellen besetzt.

Warum die ISW dennoch finanziell schlecht da steht, erklärt der Geschäftsführer folgendermaßen: „Da zunehmend mehr E-Autos hergestellt werden und diese viel weniger Teile benötigen als herkömmliche Autos, gibt es auch weniger Arbeit für die Werkstätten in diesem Bereich Seit 2015 verlieren wir immer mehr Aufträge, gerade auch vom Flughafen. Hinzu kommt, dass fähige Arbeitskräfte oft auf den 1. Arbeitsmarkt oder auf einen Außenarbeitsplatz vermittelt werden – was natürlich immer unser Bestreben ist, die Arbeitsmöglichkeiten in der ISW jedoch wieder einschränkt, da wir das Know-How vor Ort verlieren.“ Im Grunde sei die Werkstatt ein solides Unternehmen, das aktuell ein paar Stromschnellen zu überwinden habe, die sie aber selber nicht verursacht habe. Und zwar aus dem Grund, dass der Kostenträger seiner Finanzierungspflicht nicht nachkomme – eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Verein Lebenshilfe.

Klare Aussagen mehr als nötig

Bisher hat sich die Lebenshilfe eher zurückgehalten, ihre Probleme so konkret anzusprechen und den Kostenträgern eine klare Schuld zuzuweisen. Mittlerweile seien diese klaren Worte aber mehr als notwendig, wolle man die Institution Lebenshilfe auch langfristig erhalten und so vielen Menschen mit Behinderung im Landkreis Freising Angebote zur Verfügung stellen, betont Reicheneder. „Aus eigener Kraft können wir diese Situation auf Dauer nicht mehr stemmen. Wir brauchen die Politik, damit die Kostenträger ihrer Verantwortung nachkommen“, konkretisiert Haslberger die klare Forderung der Lebenshilfe Freising.

Zur Mitgliederversammlung der Lebenshilfe Freising am Dienstag, den 28. November 2023, kamen etwa 35 Mitglieder in das Tagungshaus Viva Vita in der Gartenstraße. Im Bericht der Geschäftsführung ließ Geschäftsführer Johannes Reichender das Jahr 2022 Revue passieren.

Für ihre jahrelange Vereinstreue wurden Dr. Thomas Fritz (30 Jahre) und Robert Wäger (25 Jahre) von der Vorstandsvorsitzenden Monika Haslberger ausgezeichnet. Beide Ehrenmitglieder erhielten eine Ehrenurkunde sowie „Lebenshilfe“-Pralinen der Chocolaterie und Pâtisserie Andreas Muschler.

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