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16-jähriger Jugendlicher mit Mehrfachbehinderung kann sich mithilfe von Apps mitteilen

2014 kam der damals 9-jährige Aziz* nach monatelanger Flucht gemeinsam mit seinem Vater nach Deutschland. Dieser trug seinen Sohn, der weder laufen, noch stehen kann, die meiste Zeit auf dem Rücken. Nun besucht der heute 16-jährige Junge die Schule sowie die Heilpädagogische Tagesstätte der Lebenshilfe Freising im Bildungszentrum Gartenstraße. Durch die Ansteuerung seiner Kommunikationshilfe, des RehaTalkPads, für die er nur den linken Arm einsetzen muss, ist es ihm durch die Sprachausgabe des Gerätes möglich, mit seinen Mitmenschen zu kommunizieren. Um das reibungslos zu ermöglich, werden jedoch teure Kommunikations-Apps benötigt, die auch nur für das iOS-betriebene Gerät verfügbar sind.

Unterstützte Kommunikation in der Heilpädagogischen Tagesstätte

Aziz* ist von einer komplexen Mehrfachbehinderung betroffen und auf den Rollstuhl angewiesen, welchen er wenige Meter eigenständig bewegen kann. Seine rechte Körperhälfte ist stärker von der Spastik betroffen, mit dem linken Arm kann der 9.-Klässler einige gezielte Bewegungen, wie beispielsweise die Betätigung eines Tablets ausführen. Sowohl bei der Nahrungsaufnahme als auch bei der Körperpflege muss er jedoch umfassend unterstützt werden. Zuhause übernimmt die Pflege überwiegend Aziz‘ Vater, untertags sind die Mitarbeiter*innen des Bildungszentrums (BiG) der Lebenshilfe Freising für ihn da.

Die Heilpädagogische Tagesstätte der Lebenshilfe Freising

Alle Förderangebote der Heilpädagogischen Tagesstätte (HPT) sind individuell auf den Unterstützungsbedarf des einzelnen Klienten abgestimmt. Neben Sozialtraining, musik- oder kunsttherapeutischen Angeboten werden auch Psychomotrik für den Innen- und Außenbereich sowie Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation angeboten. Kinder und Jugendliche mit vorwiegend geistiger Behinderung, wie sie in der HPT betreut werden, erlernen, dass es auch andere Möglichkeiten der Kommunikation gibt außer dem „gesprochenen Wort“. Als Einrichtung des Lebenshilfe Freising e.V. bietet die HPT 128 Vollzeitplätze an verschiedenen Standorten im Landkreis. Jede Gruppe besteht aus acht bis zehn Kindern und Jugendlichen, die von zwei pädagogisch ausgebildeten Kräften (darunter mindestens eine Fachkraft) sowie einer zusätzlichen Kraft, z. B. Betreuungshelfer*innen, Auszubildenden oder Praktikant*innen, betreut wird.

Gruppenübergreifend bietet die Einrichtung einen medizinischen sowie heilpädagogisch-psychologischen Fachdienst an. Im Bildungszentrum arbeitet die HPT nicht nur eng mit dem integrativen Hort und dem heilpädagogischen Kindergarten zusammen, sondern auch mit dem schulischen Förderzentrum, das Aziz am Vormittag mithilfe eines Schulbegleiters besucht. Dort nimmt er an auf seine Einschränkungen ausgerichtetem Unterricht teil. Zudem übt der 16-Jährige zweimal wöchentlich in einer Gruppe für Unterstützte Kommunikation den Umgang mit dem Tablet. Aziz erhält darüber hinaus Physiotherapie vor Ort.

Als Folge seiner Hemiparese, der teilweisen Lähmung einer Körperhälfte, ist es dem Jungen – wie vielen anderen in der HPT – nicht möglich, zu sprechen. Kauen und schlucken fallen ihm zudem extrem schwer. Trotz schwerster Einschränkungen in allen Lebensbereichen zeichne sich Aziz aber durch eine große Fröhlichkeit und Zugänglichkeit aus, wie Klassenlehrerin Bettina Polligger berichtet. Da er sehr gerne unter Menschen sei, jedoch über keine Lautsprache verfüge und auch das Erlernen von Gebärden durch die Spastik nur eingeschränkt möglich ist, müsse nach alternativen Lösungswegen zur Kommunikation gesucht werden. Die Technik bietet dafür heutzutage einige Möglichkeiten – ist jedoch nur ausgesprochen teuer verfügbar. Zudem ermöglicht nur das iPad die Nutzung entsprechender Apps, andere Anbieter haben diese nicht im Angebot.

Moderne Technik als ein Mittel der Unterstützten Kommunikation

Die Sprachausgabe seines RehaTalk-Pads, das bereits – wie auch die Halterung des Kommunikationsgerätes – über private Spenden finanziert wurde, ermöglicht es dem Jugendlichen nun, sich auszudrücken und Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen. Für Aziz erschließt sich dadurch eine völlig neue Welt, die ihn am Leben seiner Mitmenschen teilhaben lässt. Durch das gezielte Drücken eines bestimmten Bildsymbols „spricht“ das Tablet mit den Mitmenschen. Um sich sinnvoll und vor allem konkret zu äußern, sind Programme im Wert von mehreren hundert Euro nötig: „Die MetaTalk-App ist ein komplexes Wortschatz-System mit verschiedenen Ebenen, auf denen sich der Schüler, wie sich durch Ausprobieren gezeigt hat, bereits zurechtfindet“, erklärt Polligger. „Und die GoTalkNOW-App ist ein auf konkrete Sprechsituationen anzupassendes Programm, mit der nichtsprechende Personen an Gesprächen sinnvoll teilnehmen können.“

„Mit diesen Kommunikationsapps ist es Aziz zudem möglich, seine Persönlichkeit zu zeigen, seine Vorlieben und Abneigungen, aber auch seinen Sinn für Humor auszudrücken“, ergänzt Susanne Heinrich, Kunsttherapeutin im Heilpädagogischen Fachdienst. „Er kann zum ersten Mal in seinem 16-jährigen Leben sagen: ‚Das mag ich.‘ Oder: ‚Nein, das gefällt mir nicht.‘“ Der Junge verfolge alles um sich herum zunehmend bewusster und mache sich seine eigenen Gedanken, die er langsam auch über das iPad auszudrücken versucht. „So erzählt er beispielsweise mitunter stimmig von Geschehnissen oder Aktionen während des Tages, wie sich beim Testen der Apps gezeigt hat“, berichtet Heinrich weiter.

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* Name geändert

Datum: 17.01.2022

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