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Schwanger? - Null Promille

Zur jährlichen Aktionswoche Alkohol vom 14. bis zum 22. Mai 2022 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen möchte die Schwangerenberatungsstelle am Gesundheitsamt Freising auf das Thema Alkohol in der Schwangerschaft aufmerksam machen.

„Etwa ein Drittel aller Frauen in Deutschland trinkt Alkohol während der Schwangerschaft. Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und dessen Folgen für das Kind sind dabei nicht das Problem einer einzelnen Frau, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung“, laut FASD Kompetenzzentrum Bayern.

Alexandra Mozelewksi, Koordinatorin der Frühförderungen, hat sich einem Interview zum Thema Fetal Alcohol Spectrum Disorder (FASD) gestellt.

Alkohol in der Schwangerschaft - Ein Interview zum Thema Fetal Alcohol Spectrum Disorder

Wie häufig hat die Frühförderstelle mit dem Thema Alkohol in der Schwangerschaft und FASD zu tun?

Das ist schwierig, zu sagen, denn die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Eltern, die ihre Kinder wegen Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten in der Frühförderstelle anmelden, reden nur selten offen über FASD als mögliche Ursache. In einigen Fällen haben wir nach der Entwicklungsdiagnostik zu Beginn oder im Laufe des Förderprozesses die Vermutung, dass es sich um FASD handeln könnte, manchmal ergibt sich diese Vermutung aus einem Telefonat mit dem Kinderarzt. Die Diagnostik ist sehr schwierig und wir verweisen bei Verdacht auf eine tiefgreifende Entwicklungsstörung sowieso immer an ein SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) zur klinischen Abklärung. Ich könnte mir vorstellen, dass zwischen 10-20% unserer betreuten Kinder unter dem FASD leiden, das ist aber tatsächlich nur eine Schätzung.

Welche Angebote haben die Frühförderung und die Lebenshilfe für Menschen mit FASD?

Das Angebot der Frühförderung umfasst folgende Therapien, die auch alle für Kinder mit FASD angezeigt sein können: Physiotherapie, Ergotherapie, Sprachtherapie, heilpädagogische Förderung, intensive Elternarbeit und Beratung. Welche Therapien für das Kind genau angezeigt sind und beantragt werden sollen, hängt vom Spektrum der Entwicklungsauffälligkeiten des jeweiligen Kindes ab und wird im Zuge des Aufnahmeprozesses über das Anamnesegespräch mit den Eltern, einer entwicklungsdiagnostischen Überprüfung, Absprache mit Kinderarzt und ggf. mit dem Kindergarten geklärt. Die Entscheidung liegt letztendlich aber immer bei den Eltern.

Woran erkennen Sie Auffälligkeiten und mit welchen Auswirkungen haben die Betroffenen im Alltag zu tun?

Babys mit FASD zeigen häufig extreme Unruhe, Schreiattacken, Schlaf- und Gedeihstörungen. Daher ist es für Eltern meist schwierig, den Appetit- und Schlafzyklus in einen passenden Rhythmus zu bringen. Es fordert viel Zeit und Geduld, dabei können wir die Eltern gut unterstützen und anleiten. Wenn es motorische Auffälligkeiten gibt, können wir die Babys physiotherapeutisch behandeln.

Die Entwicklung der Kinder mit FASD kann sehr unterschiedlich verlaufen. In vielen Fällen kann man Entwicklungsverzögerungen in allen Bereichen feststellen, häufig sind aber nur Teilbereiche wie Sprache und Motorik auffällig. Oft sind die Kinder sehr infektanfällig oder haben Probleme mit dem Essen und Schlafen.

Bei etwa 30% der Betroffenen zeigen sich äußere Merkmal wie Kleinwuchs, Kleinköpfigkeit, Untergewicht, mangelnde Muskelentwicklung, typische Gesichtsveränderungen (z.B. schmale Lidspalten, kurzer Nasenrücken, Hautfalte am inneren Augenwinkel, schmale Oberlippe, fast nicht vorhandenes Philtrum).

Meist haben Menschen mit FASD in allen Lebensphasen Probleme mit der Alltagsbewältigung, da aus der Schädigung des Frontalhirns tiefgreifende Störungen resultieren können. Ausgrenzung wegen unangemessener Verhaltensweisen können die Betroffenen noch zusätzlich belasten.

Welche besonderen Fähigkeiten / Ressourcen haben Kinder bzw. Menschen mit FASD?

Kinder mit FASD haben viele Talente und Fähigkeiten, die Eltern, Bezugspersonen und Fachleute gut nutzen können, um das Selbstbewusstsein zu stärken und den Kindern immer wieder positive Erlebnisse zu bieten. So sind Kinder mit FASD häufiger sensibel und freundlich, fürsorglich und mitfühlend, besonders mit kleineren Kindern und Tieren, freuen sich über gemeinsames Spielen und Aktionen, sind kreativ und oft musisch oder sportlich talentiert, oft haben sie ein ausgeprägtes Bildgedächtnis. Dies alles kann man auch für die Therapien nutzen und die Kinder so fördern und stabilisieren.

Was denken Sie, woran könnte es liegt, dass scheinbar über ADHS so viel mehr Bewusstsein / Bekanntheit / Wissen in der Gesellschaft herrscht als über FASD?

FASD ist noch ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft, außerdem kann es hier zu direkten Schuldzuweisungen gegenüber der Mutter oder den Eltern kommen, weshalb darüber lieber nicht gesprochen wird. Auch deshalb ist bei uns in den Frühförderstellen oft gar nicht bekannt, ob es sich um FASD handelt, sondern wir haben bei bestimmten Fällen meist zunächst nur eine Vermutung oder einen Verdacht.

Da ADHS und FASD häufig miteinander in Verbindung auftauchen, ist die Diagnose ADHS einfacher zu akzeptieren, da sie gesellschaftlich anerkannter ist und keiner Begründung bezüglich der Ursachen bedarf.

Was bräuchte es für Ihre Arbeit in der Frühförderung, um Menschen mit FASD noch besser begleiten und unterstützen zu können?

Um möglichst früh in die Förderung der Kinder einsteigen zu können, wäre eine offene, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern hilfreich. FASD ist nicht heilbar, aber durch eine frühzeitige Förderung und Therapie kann dem Kind mit seiner Familie gutes Handwerkszeug mitgegeben werden, mit den Einschränkungen besser umgehen zu können.

Außerdem wäre es wichtig, sehr viel mehr Öffentlichkeits- und Präventionsarbeit, besonders bei jungen Menschen, zu leisten, um die Risiken von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft viel mehr bekannt zu machen und somit die Fallzahlen von FASD zu verringern.

[Quelle: Presseartikelserie zur Aktionswoche Alkohol mit Interviews von unterschiedlichen Fachstellen sowie Berichte von Betroffenen – federführend organisiert vom Unterarbeitskreis Suchtprävention und der Schwangerenberatungsstelle am Gesundheitsamt Freising. Interview mit Alexandra Mozelewski, Mag. Sonderpädagogin, Leitung Frühförderstelle Moosburg und Fachbereichskoordination Frühförderung der Lebenshilfe Freising]

Datum: 09.05.2022

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