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Stefan Steiger, Mitarbeiter der Isar-Sempt-Werkstätten in Erding, gab ein Interview, in dem er

von Doppelflachsteckern und dem Traum, Maler zu werden,

berichtet. Damit eröffnet seine Geschichte die neue Reihe "Erfolgsgeschichten aus dem BiG" der Lebenshilfe Freising. Weitere Berichte folgen.

Erfolgsgeschichte aus dem Bildungszentrum Gartenstraße (BiG): Stefan Steiger

Eine Freundin haben, eine Spielekonsole besitzen, mehr Freizeit haben, Urlaub in Amerika machen, eine Woche Schifahren, Zeit mit Freunden verbringen, einen Beruf erlernen oder gar einen eigenen Laden eröffnen. – Das ist nur ein Auszug typischer Wünsche von Jugendlichen in der 9. Jahrgangsstufe. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Jugendlichen eine Behinderung haben oder nicht; die Unterrichtsstunde im Rahmen der persönlichen Zukunftsplanung zum Thema „Wünsche und Träume“ in der Berufsschulstufe des Förderzentrums geistige Entwicklung der Lebenshilfe Freising versucht die Schüler*innen darauf vorzubereiten, dass sich auch für sie bald die Frage stellt, welchen Weg sie nach der Schule einschlagen wollen. Die Reihe „Erfolgsgeschichten aus dem BiG“ stellt junge Erwachsene mit Behinderung vor, die zwischen Neugierde und Angst, Abnabelung und Bequemlichkeit, Hoffnung und Illusion ihre ersten Schritte in ein Leben nach der Schule getan haben: von der Arbeit innerhalb einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung, einem Außenarbeitsplatz der Werkstätte oder auch auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Nicola Bauer, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Lebenshilfe Freising, traf sich mit Stefan Steiger zum Interview. Steiger ist zwanzig Jahre alt, besuchte das Förderzentrum im BiG und arbeitet seit September 2022 in den Isar-Sempt-Werkstätten in Erding.

Nicola Bauer: Wie gefällt Ihnen die Arbeit in den Isar-Sempt-Werkstätten Erding?

Stefan Steiger: Es passt alles. Ich bin nur immer so schnell und muss dann warten. Aber die Arbeit ist auch manchmal sehr schwierig. Ich bin stolz, wenn ich was geschafft habe. Es gibt aber auch immer neue Regeln.

Was ist hier genau Ihre Aufgabe?

Ich verpacke Doppelflachstecker. Das ist meine Lieblingsarbeit. Aber ich mache auch noch andere Sachen. Ich bleibe für alle Ewigkeit bei dieser Arbeit!

Gehen Sie gerne in die Arbeit? Was macht Ihnen am meisten Spaß?

Immer zuhause zu sein, wäre cooler. Ich mag am liebsten die erste Pause. Und die zweite Pause. Und den Feierabend. Die Arbeit an sich macht schon Spaß, aber es wäre cooler, wenn man gar nicht arbeiten müsste.

Was mögen Sie gar nicht?

Regeln. Veränderungen. Zu wenig Urlaub.

Wie läuft ein normaler Arbeitstag ab?

Ich fange um 8 Uhr an. Ich wohne in Eching und komme mit dem Bus her. Lieber würde ich ausschlafen. Manchmal fährt mich auch die Mama her.

Um 10 Uhr ist die erste Pause.

Um 12 Uhr gibt es Mittagessen. Ich habe immer viel Hunger, aber das Essen ist selten gut. Ich esse keine Bananen. Aber ich bin ein Limofan. Orangenlimo trinke ich immer Montag und Freitag.

Um 14:30 Uhr ist wieder Pause. Um 16 Uhr ist aus.

Ich habe auch Physio und Sport, aber ich bin kein Sportfan. Ich bin manchmal ein bisschen schüchtern.

Was hat Ihnen bei der Entscheidung, hier zu arbeiten, geholfen?

Ich habe hier vorher ein Praktikum gemacht.

Ich mag keine Veränderungen. Ich will wissen, was mich erwartet.

Vermissen Sie die Schule noch und sind auch andere Mitschüler*innen aus dem BiG hier in der Werkstatt?

Ja, ich vermisse die Schule sehr. Da war ich in ein Mädchen verliebt.

Ein paar meiner Mitschüler arbeiten auch hier. Aber ich hatte keine Freunde in der Schule. Nur Selina.

Als Sie in der Schule die Zukunftsplanung besprochen haben: Was haben Sie sich damals für Ihre Zukunft ausgemalt?

In der Schule hatte ich noch keine Träume. Ich wollte nur mit einem Mädchen zusammen sein.

Aber eigentlich mag ich auch lieber alleine sein. Oder mit meiner Familie zusammen sein. Ich habe eine sehr nette Schwester.

Haben Sie einen großen Traum?

Ich möchte gerne Geld verdienen mit dem Malen oder Zeichnen. Ich male mit Buntstiften und Filzstiften. Ich male gerne Mandalas aus. Ich mag gerne alles lernen beim Malen, egal wie schwer es ist.

Ich mag auch Abenteuer genießen: die Welt anschauen, auf eine Insel reisen. Und ich bin ein großer Schneefan. Im Schnee fühle ich mich frei.

Ich möchte gerne eine Freundin haben. Aber die Frauen hier sind alle zu alt.

Und ich möchte gerne Autofahren.

Hintergrund

„Für jede Person – egal ob mit oder ohne Behinderung – gibt es einen passenden Arbeitsplatz!“ Diese Aussage ist Christine Hölzl und Philip Schoeller, den beiden Stufenleitungen der Berufsschulstufe im Förderzentrum, extrem wichtig.

Jede Person, die einen entsprechenden Reha-Status von der Arbeitsagentur ausgestellt bekommt, hat einen Anspruch darauf, in einer Werkstatt der Behindertenhilfe zu arbeiten. Oft wird auch die Arbeit am ersten Arbeitsmarkt ausprobiert, allerdings sind viele Menschen mit Behinderung dort in Teilzeit tätig, wobei zahlreiche Hilfen oder Förderungen wegfallen. Und auch das Stigma „Behinderung“ spielt dort eine große Rolle. Weitere Möglichkeiten sind ein Außenarbeitsplatz, der an eine Werkstatt angegliedert ist und stunden- oder tageweise besucht wird, sowie der Besuch einer Förderstätte. Letztere sind jedoch voll und bieten kaum mehr Plätze an, was ein großes Problem darstellt.

Wie für beinahe alle Eltern, deren Kind die Schule verlässt, ist es auch für die Eltern von Kindern mit Behinderungen eine große Herausforderung, die passenden Weichen zu stellen sowie die richtigen Entscheidungen zu treffen, wie die (berufliche) Zukunft für den Nachwuchs genau aussehen soll. Zahlreiche Faktoren wie die Frage nach der Eignung, dem Interesse, den Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie dem eigenen Willen konfrontieren Erziehungsberechtigte und Schüler*innen gleichermaßen mit der schwierigen Entscheidung, welcher Weg eingeschlagen werden soll. Im Förderzentrum der Lebenshilfe Freising gibt es mit Hölzl, Schoeller und dem ganzen Team des Bildungszentrums Gartenstraße (BiG) Fachkräfte, die sehr viel Erfahrung in der Gestaltung des Übergangs von der Schule in das Berufsleben haben. „Für die meisten unserer Schützlinge wird ein passender Weg gefunden. Das kann, muss aber nicht immer die Werkstatt sein“, so Schoeller. Auf der Hand liege der geeignete Weg meistens nicht. Wird eine Arbeit in einem Betrieb angepeilt, könnten die Berufsschulstufenleitungen noch so viel planen und unterstützen – Faktoren wie die Struktur des jeweiligen Betriebs, Mitarbeitenden- oder Leitungswechsel und die wirtschaftliche Situation können auch sie letzten Endes nicht beeinflussen. „Wir stehen unseren Jugendlichen und deren Eltern immer nur beratend zur Seite“, ergänzt Hölzl. So braucht es viele Absprachen und Lösungen, um einen individuellen und passenden Weg ins Berufsleben zu finden. Denn auch der Aspekt der Umgebung und des Umfelds ist enorm wichtig und wird oftmals unterschätzt.

Mit einem Besuch des Förderzentrums der Lebenshilfe kann die Schulpflicht erfüllt werden, ein Schulabschluss ist jedoch nicht möglich. Die Jugendlichen sind in der Regel zwischen 18 und 20 Jahre alt, wenn sie das BiG verlassen. In den letzten drei Jahren werden sie in der Berufsschulstufe bestmöglich auf das „Leben danach“ vorbereitet.

Datum: 07.05.2024

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